Der BGH hat sich in einer grundlegenden Entscheidung mit der relativen Bedarfssättigungsgrenze auseinandergesetzt und seine bisherige Rechtsprechung zur konkreten Bedarfsbemessung beim Ehegattenunterhalt teilweise aufgegeben (BGH, Beschluss vom 15.11.2017, XII ZB 503/16, NJW 2018, 468). Davon betroffen sind zahlreiche bei den Amts- und Oberlandesgerichten anhängige Unterhaltsverfahren. Diese Rechtsprechungsänderung des BGH gilt gleichermaßen für die Berechnung des Trennungsunterhalts und des nachehelichen Unterhaltes bei hohen Einkommensverhältnissen. Daher ist diese Entscheidung für die Praxis von sehr großer Relevanz, die im Ergebnis im Vergleich zu früher zu höheren Unterhaltsansprüchen führen kann, aber nicht zwingend muss.
In der vorgenannten Entscheidung legte der BGH folgende zwei Grundsätze fest:
Ein Auskunftsanspruch gegen den Unterhaltspflichtigen über sein Einkommen ist immer gegeben, wenn die Auskunft für den Unterhaltsanspruch Bedeutung haben kann. Dies gilt auch, wenn unabhängig von der tatsächlichen Vermutung der Einkommensverwendung eine Darlegung des Bedarfs nach der Quotenmethode in Betracht kommt, selbst wenn der Unterhaltsverpflichtete sich auf seine unbegrenzte Leistungsfähigkeit beruft.
Es besteht eine tatsächliche Vermutung dafür, dass ein Familieneinkommen bis zur Höhe des Doppelten des höchsten in der Düsseldorfer Tabelle ausgewiesenen Einkommensbetrages vollständig für den Lebensbedarf verwendet worden ist – deshalb kann der Unterhaltsbedarf in diesem Fall ohne Darlegung der konkreten Einkommensverwendung nach der Einkommensquote bemessen werden. Bei darüber hinausgehendem Einkommen ist der Unterhaltsberechtigte, wenn er dennoch Unterhalt nach der Quotenmethode begehrt, für die vollständige Verwendung des Einkommens für den Lebensbedarf darlegungs- und beweisbelastet.
Die getrenntlebende Ehefrau nahm den unterhaltspflichtigen Ehemann, der sich als unbegrenzt leistungsfähig bezeichnete, im Rahmen eines Stufenantrags auf Auskunft über sein Einkommen zur Berechnung des nachehelichen Unterhalts in Anspruch. Das Familiengericht in erster Instanz wies den Antrag zurück, weil die Ehefrau wegen des von ihr konkret zu beziffernden Unterhalts nicht auf die Auskunft angewiesen sei. Das OLG gab auf die Beschwerde der Ehefrau dem Antrag im Wesentlichen statt. Dagegen richtete sich die Rechtsbeschwerde des Ehemanns, die im Ergebnis erfolglos blieb.
Der BGH führt dazu in seiner Entscheidung vom 15.11.2017 aus, dass der Auskunftsanspruch der Ehefrau besteht, weil die Ehegatten ab Rechtshängigkeit des Scheidungsantrags sich gem. § 1580 Satz 1 BGB auf Verlangen Auskunft über ihre Einkünfte und Vermögen erteilen müssen. Für den Auskunftsanspruch genügt die Möglichkeit, dass die Auskunft Einfluss auf den Unterhalt hat. Nur dann, wenn feststeht, dass die begehrte Auskunft den Unterhaltsanspruch unter keinem Gesichtspunkt beeinflussen kann, entfällt er ausnahmsweise. Die Auskunft bezieht sich auf die Umstände, die für die wirtschaftlichen Voraussetzungen des Unterhaltsanspruchs von Bedeutung sind, also Bedarf und Bedürftigkeit sowie die Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen. Dies gelte auch dann, wenn die jeweilige Voraussetzung oder ihr Fehlen in die Darlegungs- und Beweislast des Auskunftsverpflichteten fällt, weil der Auskunftsanspruch auch dazu dient, sich ein Bild von seiner Leistungsfähigkeit zu machen.
Der BGH betont, dass auch die Erklärung des Unterhaltspflichtigen, er sei „unbegrenzt leistungsfähig“, nicht von der Auskunftsverpflichtung befreie. Dieser verzichtet mit seiner Erklärung lediglich darauf, den Einwand fehlender oder eingeschränkter Leistungsfähigkeit zu erheben. Für die Ermittlung des Unterhaltsbedarfs könne die Auskunft gleichwohl Bedeutung haben.
Weiter führt der BGH aus, dass der Unterhaltsberechtigte die Darlegungs- und Beweislast dafür trage, dass bei günstigen Einkommensverhältnissen das hohe Einkommen für den Konsum verbraucht worden ist und er deshalb seinen an den ehelichen Lebensverhältnissen orientierten Bedarf geltend machen kann. In Abkehr von der bisherigen Rechtsprechung (BGH Beschluss vom 11.8.2010, XII ZR 102/09, FamRZ 2010, 1637) hält der Senat neben der konkreten Bedarfsberechnung in diesen Fällen auch die Quotenmethode zur Bedarfsermittlung für zulässig. Dabei könne im Sinne einer tatsächlichen Vermutung für den vollständigen Verbrauch des Familieneinkommens bis zur Höhe des Doppelten des höchsten Einkommensbetrags der Düsseldorfer Tabelle ausgegangen werden. Über diesen Betrag hinaus muss der Unterhaltsberechtigte bei Verwendung der Quotenmethode zusätzlich vortragen und beweisen, dass und in welchem Umfang die hohen Einkünfte zur Deckung des ehelichen Lebensbedarfs verwendet worden sind.
Die Höchstgrenze (= "relative Sättigungsgrenze"), bis zu der der Ehegattenunterhalt nach der Entscheidung des BGH bei einer Alleinverdienerehe nach der Einkommensquote bemessen werden kann, beläuft sich bei Zugrundelegung der 3/7 Quote auf 4.714 € sowie bei Zugrundelegung der 45 %-Quote aus den unterhaltsrechtlichen Leitlinien der Familiensenate in Süddeutschland auf 4.950 €.
Mit seiner Entscheidung erleichtert der BGH die Rechtsanwendung und beseitigt gleichzeitig erhebliche regionale Unterschiede. Bei Familieneinkommen bis derzeit monatlich 11.000 € netto (bezogen auf die Düsseldorfer Tabelle 2018) kann nun ohne konkrete Bedarfsberechnung die Quotenmethode als Ausprägung des Halbteilungsgrundsatzes angewendet werden. Auch bei höheren Einkommen bleibt diese Methode zulässig, aber der Berechtigte trägt die Darlegungs- und Beweislast für die Verwendung des höheren Einkommens zum Konsum. Ungeachtet dessen kann der Unterhaltsberechtigte weiterhin eine konkrete Bedarfsberechnung anstellen und auf Grundlage dieser den Ehegattenunterhalt einfordern.
Will der Unterhaltsverpflichtete den Unterhalt nach unten korrigieren, so ist es seine Aufgabe, zum ehelichen Bedarf vorzutragen und den Nachweis zu führen, dass während der Ehezeit weitaus weniger Einkommen für den Lebensbedarf verwendet wurde, als sich nunmehr nach Quote ergibt. Dies setzt allerdings sehr konkreten Sachvortrag voraus, der unter Beweis zu stellen ist. Dies ist dann Erfolg versprechend, wenn trotz guter finanzieller Verhältnisse nur ein Teil des verfügbaren Einkommens in den Konsum geflossen ist. Insbesondere dann, wenn die Eheleute während intakter Ehe relativ spartanisch oder sparsam lebten.
Die neue BGH-Rechtsprechung gibt nunmehr Anlass darüber nachzudenken, Altfälle neu zu beurteilen und möglicherweise auf Abänderung vorzugehen. Weicht nämlich der bisher konkret festgestellte Bedarf wesentlich von dem jetzt zulässigen Quotenunterhalt ab, kommt eine Anpassung in Betracht. Unterhaltspflichtige, die sich bisher mit der Erklärung, sie seien "unbegrenzt" oder jedenfalls in Höhe des konkret zu bemessenen Bedarfs leistungsfähig, geweigert haben, Auskunft über ihr Einkommen zu erteilen, sollten sich darauf einstellen, ihre Einkünfte zukünftig offenbaren zu müssen.
Autor:
Frank Baranowski
Rechtsanwalt und Fachanwalt für Familienrecht, Siegen
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